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{{postCount}} Harald Pechlaner im Interview

„Wir müssen strategisch denken“

Harald Pechlaner ist Tourismusforscher und Keynote-Speaker beim TMBW-Tourismustag. Ein Gespräch über die Messbarkeit von Qualität und neue Kennzahlen

An ihm führt in der Diskussion über das Thema Qualitätstourismus kein Weg vorbei: Harald Pechlaner ist Tourismusforscher an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und hat sich mit seinen Publikationen zu Destinationsentwicklung, Transformation und Nachhaltigkeit einen Namen gemacht. Aktuell erforscht er, wie man Qualität im Tourismus künftig messen kann.

Harald Pechlaner© Katrin Wycik
Von der Praxis in die Forschung: Prof. Dr. Harald Pechlaner war u. a. Direktor der „Südtirol Tourismus Werbung“ und lehrt heute Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

Herr Pechlaner, im Tourismus der Zukunft geht es um das Maßhalten. Kann man dieses Maßhalten messen?
Natürlich. Maß und messen gehören zusammen, das ist ja fast eine philosophische Verknüpfung. Es geht beim Qualitätstourismus um das richtige Maß und dafür brauchen wir in der Tat andere Messgrößen.


Wie weit sind wir denn, was die Entwicklung dieser neuen Key Performance Indicators (KPIs), also Kennzahlen für den Tourismus, angeht?
Wir kommen weiter. Aber die große Triebfeder für die Entwicklung von KPIs ist das Thema Nachhaltigkeit, im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Sinne. Da entstehen im Moment viele neue Kennzahlen. Die UN haben erst kürzlich dazu wieder einen Vorschlag unterbreitet. Es geht um das gute Leben. Wie viele Ressourcen verbrauchen wir für touristische Aktivitäten? Wie schaffen wir Klimaneutralität, wie können wir Klimaschutzmaßnahmen in das eigene Geschäftsmodell integrieren? Am Ende sind das alles neue Qualitätsmaßgrößen.


Gibt es schon erste Erhebungen oder Feldversuche, bei denen das Anwendung findet?
Es gibt Monitoring-Stellen für Nachhaltigkeit im Tourismus. Ich bin selbst mit einer in enger Verbindung, das ist in diesem Falle ein Projekt der Welttourismusorganisation.


Was konkret wird da beobachtet?
Das kann der Wasserverbrauch im Hotel sein, die energetische Bilanz von Beherbergungsbetrieben und Freizeiteinrichtungen. Die Frage ist auch, welche Baukonzepte es braucht zur Erreichung bestimmter Nachhaltigkeitsziele.


Das Messen von Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitserfolgen ist also der entscheidende Faktor?
Absolut. Es geht um die Frage, wie wir uns unsere Zukunft vorstellen. Wir haben ja in die Nachhaltigkeit etwas hineininterpretiert. Und zwar die Vorstellung von einer Welt, die unter anderen Rahmenbedingungen funktioniert. Das ist ein Qualitätsanspruch. Wenn eine Region eine Nachhaltigkeitsinitiative startet, dann legt man da auch eine Zukunftsentwicklung hinein. Deswegen rede ich auch nicht von Zukunft, sondern von Zukünften.


Wir haben also die Wahl?
Richtig. Es gibt verschiedene Wege, die wir einschlagen können. Und deshalb müssen wir strategisch denken: Strategisches Denken ist ein Denken in Alternativen. Wir brauchen eine eigene Vorstellung von Anspruch und Qualität, wenn wir Konzepte entwickeln wollen, auch im Tourismus.


Wie ist es mit sozialen Faktoren, der Lebensqualität der Bevölkerung, Tourismusakzeptanz – wie kommt man hier zu verlässlichen Aussagen?
Ich selbst habe einen Sensibilitätsindex für Tourismusregionen entwickelt, der lebensweltliche Aspekte miteinbezieht. Tourismus als Teil der Lebensqualität in einer Region, darum geht es. Da wird gerade gemessen, was das Zeug hält. Ich weise nur auf die Tourismusakzeptanzstudien hin, die allerorten stattfinden, da hat es ja auch deutschlandweit sehr gute und aussagekräftige Erhebungen gegeben. Wir haben einfach gemerkt: Die Frage der Tourismusakzeptanz ist extrem wichtig, wenn wir noch eine Entwicklung haben wollen. Eine qualitativ gehaltvolle Tourismusentwicklung braucht die Akzeptanz der Bevölkerung. Daraus folgt eine breitere Vorstellung von Qualitätsansprüchen, denn die Einheimischen haben zum Teil ganz andere Bedürfnisse.


Die wir bisher nicht berücksichtigt haben?
In der Tat. Bisher wurden touristische Entwicklungen vielfach davon losgelöst betrachtet und bewertet. Dabei ist die touristische Entwicklung nur eine Teilentwicklung, die schon immer im engen Zusammenhang mit anderen Faktoren stand.


Gibt es eine Möglichkeit zu messen, wann das Maß im Tourismus voll ist?
Es gibt zwar Indikatoren, mit denen man den Overtourism messen kann. Aber darunter muss jeder selbst festlegen, wann es genug ist. Da existieren keine festen Messgrößen, an denen man sich orientieren kann, das ist letztlich eine Frage der Strategie und eigenen Zukunftsvision. Das Maß ist dann voll, wenn die Akzeptanz nicht mehr gegeben ist oder stark bröckelt.


Wie ist das mit der Servicequalität und Gästezufriedenheit? Wird das schon ausreichend gemessen und erfasst?
Da hat es ja schon seit Langem Qualitätsinitiativen gegeben. Ich erinnere nur an die „ServiceQualität Deutschland“, kurz „Q“, die seit über 20 Jahren auch in Baden-Württemberg existiert. Nun geht es darum, sie viel stärker noch mit Nachhaltigkeitsparametern zu verknüpfen, das hat anfangs ja kaum eine Rolle gespielt. Wichtig ist also eine Zusammenführung bisheriger Messverfahren mit den neuen Erkenntnissen eines nachhaltigen Tourismus.


Werden die bisherigen quantitativen Kennzahlen zu Ankunft und Übernachtung künftig eigentlich noch eine Rolle spielen?
Ich wünsche mir sehr, dass wir viele neue Kennzahlen finden, mit denen wir den Tourismus anders messen können. Alleine mit der Erhebung von Logiernächten und Ankünften kommen wir tatsächlich nicht mehr weiter. Dadurch haben wir ein falsches, rein quantitatives Bild entwickelt. Wir haben zum Beispiel wenig Ahnung, welchen Anspruch eine Region an ihre eigene Zukunft hat.


Ist es trotzdem sinnvoll, diese Zahlen weiter zu erheben?
Ich denke, wir können sie weiter haben, so wie wir auch das Bruttoinlandsprodukt weiterhin messen. Es bleibt eine wichtige Größe, die auch leicht vergleichbar ist. Es geht künftig aber darum, diese Zahlen mit anderen zu verknüpfen. Nachhaltigkeitsmessung ist allerdings aufwendig.


Gibt es eigentlich Modelle, die alle Kennzahlen zu einer neuen Gesamtaussage zusammenführen, oder stehen wir da noch am Anfang?
Da sind wir noch in der Entwicklung, aber es passiert sehr viel. Wenn wir mit der Nachhaltigkeitsmessung einen Schritt weiter sind, werden wir auch mit der Messung der Tourismusqualität weiter sein. Das ist die Grundlage für ein Gesamtmodell, in das wir alle anderen KPIs integrieren können.

Mehr zu Harald Pechlaner

Eine Übersicht der Publikationen und Forschungsschwerpunkte von Prof. Dr. Harald Pechlaner gibt es bei der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

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