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{{postCount}} Mehr als nur Wissen vermitteln
Führung im Barocktreppenhaus Bad Wurzach© Oberschwaben Tourismus GmbH/Stefan Kuhn

Mehr als nur Wissen vermitteln

Noch immer hapert es auch in Baden-Württemberg an der Ausbildung vieler Gästeführerinnen und Gästeführer. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten und sogar ein europaweit anerkanntes Zertifikat

Quick Wins

Ausbildungsdefizit: In Deutschland gibt es keine verbindlichen Richtlinien. Viele kleine Orte bilden ihre Guides gar nicht aus.

Unterhaltungsfaktor: Eine gute Gästeführung darf launig sein, doch wenn sie übertrieben witzig ist, kann das auch auf die Nerven gehen.

Faktenüberschuss: Noch immer werden zu viele Details präsentiert. Dabei sind die Alltagsbezüge und Zusammenhänge viel wichtiger.

Der Guide ist witzig, sehr witzig sogar. Er feuert einen Gag nach dem anderen ab und zaubert den Leuten damit ein Lächeln ins Gesicht. Das geht so ein paar Minuten, dann kippt die Stimmung allmählich: Denn außer flotten Sprüchen hat der Gästeführer nicht viel zu bieten. Wer gekommen ist, um etwas über die Stadt und ihre Geschichte zu erfahren, geht enttäuscht wieder nach Hause.
Tatsächlich kann auch eine sehr unterhaltsam vorgetragene Gästeführung eine Pleite sein. „Die Leute wollen etwas erfahren. Eine gute Gästeführung braucht Substanz“, sagt Susanne Kahlig, die seit 24 Jahren Reisende durch Heidelberg führt und heute eine eigene Agentur besitzt. Ihre Ausbildung im Jahr 2000 war fundiert, mit wochenlangen Kursen und einer Abschlussprüfung: „Da habe ich das Handwerkszeug gelernt und sehr viel über die Geschichte meiner Stadt.“

Heidelbeerweg-Förster Stefan© Andreas Weise / TMBW
Kommunikation auf Augenhöhe: Nicht nur auf dem Heidelbeerweg in Enzklösterle ist die richtige Art der Vermittlung entscheidend

Solides Fachwissen bleibt wichtig

So ist es ein Trugschluss zu glauben, dass es bei Gästeführerinnen und Gästeführern nicht mehr so sehr auf das Fachwissen ankommt. „Es ist das Fundament“, betont auch der Geograf Andreas Megerle, der seit viele Jahren Landschaftsguides im Schwarzwald ausbildet. Nur wer selbst durchblickt, kann den Stoff anschließend in verständliche eigene Worte kleiden. Überdies gibt es ja auch Rückfragen, die beantwortet werden müssen. Das zum Beispiel können Audioguides oder Apps nicht.
Das Problem ist, dass in Deutschland keine verbindliche Ausbildung für Gästeführerinnen und Gästeführer existiert. Ob eine Touristinformation Qualifizierungsmaßnahmen anbietet oder einfordert, ist ihre Sache. Vor allem in kleineren Dörfern und Städten sieht es oft mau aus, vielfach erschöpft sich das Ganze dort in sporadischen Weiterbildungsaktionen.
Dieses Defizit erkannte Anfang der Neunzigerjahre auch die Heidelberger Gästeführerin Ursula Lehmann. Sie hatte lange in Spanien gelebt, ein Land, in dem die Ausbildung staatlich reguliert ist. Das gilt auch für die meisten anderen Länder in Südeuropa. „Bei uns hingegen“, erinnert sich Ursula Lehmann, „gab es nichts.“

Weingut Albrecht Kiessling in Heilbronn© Christoph Düpper / TMBW
Wie viel Arbeit steckt in einer Flasche Wein? Eine Führung durch das Weingut Albrecht-Kiessling in Heilbronn hinterlässt bleibende Eindrücke


1994 gehörte sie daher zu den Gründungsmitgliedern des Bundesverbands der Gästeführer in Deutschland (BVGD), sie wurde auch dessen erste Vorsitzende. Heute vertritt der Verband rund 7.700 Gästeführerinnen und Gästeführer in Deutschland, die in etwa 250 Vereinen organisiert sind.
Ein gewaltiger Fortschritt, zumal der BVGD ein Ausbildungssystem etablieren konnte, das 2008 sogar per EU-Norm standardisiert wurde. In drei Stufen können sich Guides dabei qualifizieren, die höchste mit drei Sternen führt zum Erwerb eines europaweit gültigen Zertifikats.

Der BVGD als wichtiges Netzwerk

„Es lohnt sich, bei uns Mitglied zu sein“, sagt die heutige BVGD-Bundesvorsitzende Maren Richter aus Potsdam. Zumal der Bundesverband auch eine Haftpflichtversicherung anbietet und sein Portal als Präsentationsfläche für die Gästeführerinnen und Gästeführer dient. Darüber hinaus erschließt eine BVGD-Mitgliedschaft auch ein Netzwerk von Kontakten. „Der Austausch ist überaus wertvoll, man bekommt viele Anregungen“, erklärt Maren Richter.
Dabei repräsentieren die 7.700 Guides nur etwa ein Drittel derer, die in Deutschland tatsächlich Gäste führen. „Vor allem in Baden-Württemberg ist die Zahl der Mitglieder unterdurchschnittlich“, betont die BVGD-Vorsitzende. Heidelberg und zahlreiche Orte im Schwarzwald freilich seien eher gut vertreten.
Beim großen Rest weiß man das nicht so genau. Das heißt keineswegs, dass dort gar nicht ausgebildet wird: Tatsächlich hat sich im Laufe der Jahre eine komplexe und fast unüberschaubare Vielfalt entwickelt. So bilden die Staatlichen Schlösser und Gärten in Baden-Württemberg ihre Guides selbst aus, ebenso wie der Naturpark seine Schwarzwaldguides oder der Nationalpark Schwarzwald seine ehrenamtlichen Rangerinnen und Ranger.
Viele Start-up-Unternehmen haben ihre ganz eigenen Systeme etabliert. Der Historiker Daniel Friesen zum Beispiel hat sich 2018 in der alten Bundeshauptstadt Bonn selbstständig gemacht. Sein Skript hat er selbst entworfen, die Methodik, mit der er neue Guides schult, ständig verfeinert.
Das Erstaunliche dabei: Obwohl er selbst aus dem Geschichtsfach kommt, ist ein entsprechendes Studium bei ihm keine Einstellungsvoraussetzung: „Wichtig ist, dass man der Person gut zuhören kann.“ Will heißen: Das beste Fachwissen nützt nichts, wenn es langweilig und trocken präsentiert wird. „Es fehlt oft die Seele“, sagt Friesen, „vieles ist noch immer zu akademisch verkopft.“
Das reine Herunterleiern von Fakten ist heute weniger denn je gefragt.

Bei uns geht es um Zusammenhänge. Die Details kann man in Wikipedia nachlesen.

Daniel Friesen, Gästeführer

„Menschen verstehen gerne Zusammenhänge“, lautet denn auch das Credo des Landschaftsgeografen Andreas Megerle, der allen neuen Guides grundsätzlich rät, „50 Prozent von dem wegzulassen, was man zum Thema erzählen könnte.“

Die Methodik einer Führung kann man lernen

Stattdessen geht es um einen Spannungsbogen, um eine Dramaturgie, die gerne mit launigen Kommentaren, Anekdoten und Gegenwartsbezügen garniert sein darf. Weiß die Person dann auch noch, wie man sich richtig postiert und die Stimme erhebt, damit man verstanden wird, ist das schon die halbe Miete.
Auch das lernt man übrigens in einer Gästeführerausbildung: die Methodik der Vermittlung. „Das kann man üben“, sagt die Heidelbergerin Susanne Kahlig, die erst kürzlich Teil eines Gremiums der Heidelberg Marketing GmbH war, das neue Bewerberinnen und Bewerber vorauswählt. „Nicht alle sind geeignet“, sagt Kahlig, „nur wer reden kann und mit Menschen in einer Gruppe zurechtkommt, sollte auch die Ausbildung machen.“
Schließlich sind Führungen etwas sehr Wichtiges im Tourismus: „Der Gästeführer und die Gästeführerin sind das Gesicht einer Stadt oder einer Region“, betonen sowohl Susanne Kahlig als auch Daniel Friesen. Und Maren Richter vom BVGD-Bundesvorstand unterstreicht, „dass Deutschland ja heute international als Top-Reiseland gilt. Dazu muss auch das Niveau der Gästeführungen passen.“

Der Bundesverband BVGD

Der Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e. V. (BVGD) vertritt als Dachverband in zahlreichen Gremien die Interessen der Gästeführerinnen und Gästeführer in Deutschland. Nur Gästeführervereine können Mitglieder werden. Eine Mitgliedschaft von Einzelpersonen oder Touristinformationen ist nicht möglich.
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